Informationsfreiheit Von der Leyen verweigert Auskunft über angebliche SMS zu Milliardendeal mit Pfizer Die Kommissionschefin verhandelte im Frühjahr den Kauf von Impfstoffen direkt in Nachrichten mit dem Chef von Pfizer, berichtete die New York Times. Doch ob es die Nachrichten wirklich gibt - und was drinsteht -, darauf verweigert die EU-Behörde konsequent eine Antwort.

09.12.2021 um 07:00 Uhr - Alexander Fanta - in Öffentlichkeit - 10 Ergänzungen

Als Kommissionschefin macht Ursula von der Leyen große Deals am kleinen Bildschirm -
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Die Europäische Kommission möchte mögliche Absprachen zwischen Ursula von der Leyen und dem Pharmariesen Pfizer nicht transparent machen. Das geht aus einer Antwort der Kommission an die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly hervor, die netzpolitik.org nun veröffentlicht. Konkret geht es um Nachrichten, die EU-Kommissionspräsidentin direkt mit Pfizer-Konzernchef Albert Bourla ausgetauscht haben soll, um einen Impfstoffdeal einzufädeln. Über die Existenz der Nachrichten hatte im April die New York Times berichtet.

Bei dem Deal ging es um 1,8 Milliarden Dosen von Pfizer-BioNTech. Vereinbart wurde das Milliardengeschäft für den Impfstoff in diesem Frühjahr, als die große Mehrzahl der Europäer noch ungeimpft war, über den kurzen Dienstweg in Anrufen und Nachrichten direkt zwischen Ursula von der Leyen und Albert Bourla, heißt es im Bericht des renommierten US-Blattes. Mit den "text messages", von denen dort die Rede ist, können sowohl SMS als auch Nachrichten über Messenger wie Signal oder WhatsApp gemeint sein.

Sein Impfstoff Comirnaty macht das Konsortium aus Pfizer und der deutschen Firma BioNTech inzwischen zum wichtigsten Impfstofflieferanten der EU. Doch wie es Preise für seine Impfstoffe festlegt und welche Länder bei der Lieferung bevorzugt werden, bleibe im Dunklen, heißt es in einer Investigativrecherche der Financial Times. "Wie Pfizer seine neugewonnene Macht ausübt - und was der Konzern als Nächstes plant - hält er streng geheim."

Trotz Kritik von Abgeordneten und NGOs, die mehr Transparenz bei Milliardendeals der EU fordern, will die EU-Kommission jedoch keinen Einblick in den Impfstoffkauf gewähren. Für seine Geschäfte mit Pfizer hat die Kommission zwar - wie bei Verträgen mit anderen Herstellern - eine Vorvereinbarung und einen Kaufvertrag offengelegt, in diesen sind aber wesentliche Details wie der Lieferpreis und Haftungsfragen geschwärzt.

Anträge auf Offenlegung werden abgeschmettert

Nicht nur die Verträge, selbst die Anbahnung des Geschäfts bleibt im Dunklen. Eine Informationsfreiheitsanfrage von netzpolitik.org zu den Nachrichten zwischen Kommissionschefin Von der Leyen und Pfizer-Chef Bourla lehnte die EU-Kommission bereits im Juli ab: "Es konnten keine Dokumente gefunden werden, die in den Geltungsbereich Ihrer Anfrage fallen", heißt es in der Antwort der Generalsekretärin der Kommission, Ilze Juhansone.

In dem Fall brachte netzpolitik.org eine Beschwerde bei Ombudsfrau O'Reilly ein. Daraufhin gab es vor kurzem ein virtuelles Meeting zwischen sieben Spitzenbeamten der Kommission und fünf Mitarbeitern der Ombudsfrau. Darin legte die Kommission detailliert dar, wie sie mit SMS oder Messenger-Dienste wie WhatsApp und Signal umgeht.

Solche Nachrichten seien "von ihrer Natur her kurzlebig" und würden daher weder in der formellen Entscheidungsfindung zum Einsatz kommen, noch produzierten sie verbindliche Zusagen der Institution. Daher seien bislang noch nie SMS oder Messenger-Nachrichten im Archivsystem der Kommission abgelegt worden. Auch fehle es an einem technischen System, um das leicht tun zu können. Sollte jedoch in Nachrichten wichtige Information von längerfristiger Bedeutung enthalten sein, könne diese als Notiz in andere Dokumente aufgenommen werden.

Auf unsere konkrete Anfrage bezogen heißt es, es habe mehrfach Nachfragen im Kabinett Von der Leyens gegeben. Dieses habe wiederholt bekräftigt, dass es keine Dokumente gebe, die "die für die Registrierung [im Archiv] erforderlichen Kriterien erfüllen". Mit dieser nebulösen Antwort entzieht sich die Kommission neuerlich der Frage, ob es den direkten Nachrichtenaustausch zwischen Bourla und Von der Leyen überhaupt gab - und wenn ja, was drinstand.

Ein möglicher Grund für die Zurückhaltung ist, dass Von der Leyen und ihr Team rechtliche Folgen fürchten könnten - geben sie zu, dass die Nachrichten noch auf dem Handy der Kommissionschefin liegen, oder dort gelöscht wurden, macht sie das womöglich für Klagen angreifbar.

In Brüssel läuft vieles über WhatsApp und Signal

Der Position der Kommission zum Umgang mit Kurznachrichten hat EU-Ombudsfrau O'Reilly bereits in der Vergangenheit widersprochen. Ihrer Rechtsmeinung nach können SMS und WhatsApp-Nachrichten sehr wohl amtliche Dokumente sein, die archiviert werden müssen. Die EU-Verordnung, die den Dokumentenzugang regelt, spreche ausdrücklich von "Inhalten unabhängig von der Form des Datenträgers". Dort ist von Dokumenten auf Papier, aber auch solchen in elektronischer Form, sowie Ton- und Bilddokumenten die Rede. Darunter fallen wohl sogar TikTok-Videos.

Bereits in früheren Antworten auf Informationsfreiheitsanfragen hatte die Kommission erklärt, Kurznachrichten würden nur "in außergewöhnlichen Umständen" als Dokumente gelten - ohne allerdings klarzustellen, wie solche Umstände aussehen könnten.

Wie viele heikle Abstimmungsprozesse über das Handy laufen, wird schon daran deutlich, dass die EU-Kommission ihren Beschäftigten für solche Fälle zum sicheren Messengerdienst Signal rät, statt zu WhatsApp zu greifen.

Ombudsfrau O'Reilly schrieb in ihrer Antwort auf eine Beschwerde der Transparenz-NGO FragdenStaat.de, es sei klar, dass Messenger-Apps und SMS für die professionelle Kommunikation genutzt werden, auch für wichtige Angelegenheiten. "Wenn der Inhalt dieser Nachrichten jedoch nicht von der Institution aufbewahrt und gespeichert wird, kann die Öffentlichkeit niemals darauf zugreifen."

Dass solche Nachrichten von EU-Institutionen sogar für Fragen von Leben und Tod bedeutsam sein können, zeigt eine Anfrage bei Frontex. Beamte der EU-Grenzschutzagentur sprechen sich offenbar per WhatsApp mit libyschen Küstenmilizen über die Position von Flüchtlingsbooten ab. Das geht aus Nachrichten hervor, die Matthias Monroy für eine bei netzpolitik.org erschienenen Recherche durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielt. Sie sind nun öffentlich abrufbar.

Seit dem Sommer prüft O'Reilly, welche Anstrengungen die EU-Institutionen zur systematischen Sicherung von Nachrichten unternehmen. Dabei geht es nicht nur um SMS und Nachrichten aus Messengern, sondern auch um Tools wie Slack. Die Ombudsfrau betont, dass auch in Mitgliedstaaten der EU ähnliche Diskussionen laufen - nicht zuletzt in Deutschland, wo Kanzlerin Angela Merkel viele wichtige Entscheidungen per SMS koordinierte.

Schon während ihrer Amtszeit als Merkels Verteidigungsministerin stand Von der Leyen in der Kritik, weil sie 2019 kurz vor ihrem Absprung nach Brüssel einfach alle SMS auf ihrem Diensthandy löschte, bevor sie es zurückgab. Und das, obwohl ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss diese gerne eingesehen hätte. Der Fall sorgte sogar für eine Prüfung durch die Justiz.

Kommission will neue Leitlinien schaffen

Ob die Kommission auf den öffentlichen Druck reagiert und künftig SMS systematisch archiviert, ist noch offen. Immerhin, vor einigen Tagen kündigte EU-Kommissionsvizepräsidentin Véra Jourová an, dass ihre Beamten an neuen Regeln für den Dokumentenzugang arbeiten. Am liebsten wäre ihr, die Verordnung 1049 aus dem Jahr 2001, die ihn bislang regelt, gänzlich zu überholen, sagte sie bei einer Veranstaltung von Ombudsfrau O'Reilly. Sollte für ein neues Gesetz aber der politische Wille fehlen, so werde die Kommission sich einfach selbst neue interne Leitlinien geben.

Was das für die Archivierung von Nachrichten wie jenen bedeutet, in denen milliardenschwere Impfstoffkäufe angebahnt wurden, ließ Jourová offen. Neue Leitlinien müssten das veränderte Kommunikationsverhalten widerspiegeln. Ihr Team arbeite an klaren Kriterien, wann Nachrichten als Dokument gelten sollten, sowie an einer technischen Lösung, um solche Nachrichten zu speichern, sagte Jourová.

Doch zugleich erklärte die Kommissionsvizechefin, sie glaube nicht, dass Ursula von der Leyen oder sie selbst jemals Entscheidungen über Kurznachrichten getroffen hätten, "die in Stein gemeißelt sind". Es handle sich vielmehr um "Zusatzkommunikation". Unter den Teilnehmern der Veranstaltung wurde im Nachhinein gerätselt, wie das zu verstehen ist. Erfahren wird es die Öffentlichkeit wohl erst dann, wenn die Kommission sich entscheidet, es preiszugeben.


Quelle: netzpolitik.org